Bemesst sie stets nur an ihrer Schuhgröße!
Oldenburg ist aufgrund seiner Zahl an Einwohnenden bekanntlich eine Großstadt. Gleichzeitig wissen wir alle, die hier seit längerem wohnen: Oldenburg ist auch ein Dorf. Ein lockeres Bummeln durch die Innenstadt oder über die Märkte darf nicht enden, ohne dass wir jemanden über den Weg laufen, den wir kennen. Der obligatorische norddeutsche Kurzschnack inklusive: Ja, alles gut, auch bei dir, toll, auch einkaufen, so so, ach, mensch, schon gehört, nicht wahr, oh, nun muss ich aber auch los.
Und wie es sich für diese Chimäre gehört, kommen hier auch gesellschaftliche Errungenschaften, geboren und kreiert in den pulsierenden Metropolen dieser Republik – also Berlin – irgendwann an, selbstredend mit Verspätung. Da ahmt man den Bahnverkehr über die ständig betriebsgestörte Rollklappbrücke ungewollt nach. Sei es bei der Gründung einer Universität, der Etablierung von hippen Burgerläden, vietnamesischen Lokalen (oft ohne vietnamesische Mitbürger*innen) sowie Bubbletea-Buden (deren Wegbereiter in ihren Herkunftsstädten längst dicht gemacht hatten) und namhaften Protestbewegungen. Zugegeben: bei letztgenannten brauchte es keine gefühlten 10 Jahre, bis auch sie interessierte Mitstreiter*innen fanden.
Ein deutlicher Fortschritt im Kampf gegen das Gesetz der Oldenburger Innovationsverzögerung! Folglich klebt man sich auch auf unseren Straßen fest und lässt Leserbriefscheibende darüber sinnieren, wie unerzogen diese Personen wohl sind und ob diese nicht ohne jemanden innerhalb seines täglichen Staus zu stören auf ihr Anliegen aufmerksam machen könnten. Zum Glück hatte sich die Geschichte dagegen entschieden Oldenburg den Auftrag zu erteilen, den gesellschaftlichen Protest zu erfinden. Denn da wären keine Schuhe in Maschinen geflogen oder Bahnstrecken unbrauchbar gemacht worden, sondern Eingaben geschrieben und schlagkräftigen Onlinepetitionen auf den Weg gebracht worden. Mit der Folge, dass kaum einer sie wahrgenommen, geschweige denn, wie erleben es zu genüge, ernst genommen hätte. Die mittlerweile spärlichen Monarchisten unter uns hätte es gefreut und das Graf-Anton-Günther-Reiterstandbild müsste sein Leben nicht an einer Waschstraße fristen. Er war doch ein so friedvoller Absolutist! Hach! Aber zum Glück machte man es dem Oldenburger anderswo vor und auch hier landete man in einer Demokratie, in der Jung und Alt nicht nur freitags für den Klimaschutz, Verkehrswende und Co. eintreten. Da man wieder einmal anderen Ortes auf die Idee kam, anstelle der asphaltischen Klebespiele auch den ein oder anderen Deal mit Oberbürgermeister*innen auszuhandeln – wir ersparen uns an der Stelle den Besserwisser-Hinweis auf die Aufgabenverteilung innerhalb der kommunalen Selbstverwaltung – wollte man dieses hier auch tun. Denn, hey, wir haben ja auch einen Oberbürgermeister. Großstadt eben.
Glaubt man den Ausführungen des hiesigen Lokalblattes, ein kritischer Blick ist hier aus alter Tradition heraus stets angebracht, pflanzten die „Letzte Generation“ vor wenigen Tagen rund 200 Fichten und Lärchen rund ums Schloss und versuchte damit, ihren Gesprächswunsch zu erneuern. Ein Wunsch, der laut Auskunft der Stadtverwaltung erst im zweiten Schreiben an die Stadtspitze Ende März deutlich wurde. Ob im ersten Schreiben aus Februar tatsächlich einer der Schlüsselformulierungen fehlte, die bei einer ordentlich geführten Verwaltung erst die schwerfällige Maschinerie des Handelns auslöst, können wir nicht beurteilen. Jedoch gar nicht auf ein Schreiben zu reagieren … passt auch wunderbar zur Stadt Oldenburg. Das kennen wir doch! Nun jedenfalls möchte sich der Oberbürgermeister in den Dialog begeben, verweist aber bereits auf die vielen Beschlüsse, die ja den Forderungen schon entsprechen würden. Beschlüsse sind Beschlüsse. Umsetzung ist bekanntlich etwas anderes, wird damit aber gerne gleichgesetzt. Worte und Taten sind immer noch zwei paar Schuhe. Daher: Bemesst sie stets nur an ihrer Schuhgröße!
Aus unserer Sicht können wir nur hoffen, dass die hiesigen Akteur*innen der „Letzten Generation“ mit etwas mehr Detailwissen in diese Gespräche gehen, als sie bei der Auswahl ihrer Setzlinge, dem Standort und der Pflanzweise an den Tag gelegt haben. Denn ansonsten werden sie nach diesem PR-Desaster dem Oberbürgermeister und jenen, die gerne behaupten, die Stadt Oldenburg würde schon alles notwendige tun oder tun wollen, gehörig auf den Leim gehen. Und dort will wirklich keiner freiwillig festkleben.